« Wie Sie zum Poeten werden »
Seit der Zeit der Romantiker wird mit den Worten Poesie oder Lyrik die Gesamtheit aller Gedichte bezeichnet. In der Antike dagegen verstanden die Menschen unter Lyrik auch die Versdichtung, die damals zur Musik der Leier rezitiert wurde. Aus dem Namen Lyra für Leier leitete sich schließlich auch der Begriff der Lyrik ab. Bis heute jedoch gilt: Kein Gedicht gleicht dem anderen. Es kann gereimt sein, sich an ein Versmaß halten, aber auch sprachspielerisch unterwegs sein und sich in freien Formen bewegen, wie moderne Poetry Slams beweisen. Wer selbst Lust am Schreiben verspürt, bekommt hier eine kleine Anleitung. Sie können sich ausprobieren und handschriftlich Gedichte schreiben lernen.
Poesie hat eigene Regeln
Wenn Sie Gedichte schreiben, werden Sie schnell merken: Diese fallen bereits durch ihre Optik auf. Auf dem Blatt entsteht kein Fließtext, sondern oft nur kurze Zeilen. Dazu verzichtet moderne Dichtung gerne auf Großschreibung und Satzzeichen, reiht die Worte einfach lose aneinander, so dass nur Fragmente an Sätzen entstehen. Die Sprache wird beim Schreiben von Poesie einfach anders verwendet. Es gibt Wiederholungen, Sätze brechen mittendrin ab und werden anders weitergeschrieben. Aneinander gereihte Worte scheinen zuweilen ohne Bezug zu sein und selbstverständlich gibt es auch die geläufigen Formen der Reime, wie Stabreim, Kreuzreim und andere. In den Gedichten wird die Eindeutigkeit der Sprache zur Nebensache. Hier geht es nicht um das Mitteilen von Informationen, sondern um die Bedeutung, welche die Worte alle unter sich versammeln. Wer dichtet, schreibt nicht einfach Worte, sondern möchte Sprache verwandeln und damit die Leser oder Zuhörer in ihrem Inneren bewegen.
Die einzelnen Zeilen
Während bei einem Fließtext die gesamte Breite der Seite genutzt wird, sieht das bei einem Gedicht deutlich anders aus. Kommt ein Umbruch, beginnt ein neuer Gedanke. Grundsätzlich muss Poesie dabei mindestens zwei Zeilen lang sein. Andernfalls wäre der Unterschied zu einer Notiz oder einem kurzen Satz in Prosa nicht ersichtlich. Allerdings kann sich ein Satz oder ein Gedanke auch über mehrere Zeilen hinweg ziehen. Ist das Gedicht in Zeilen geschrieben, ist am Ende der Zeile auch das Ende des Satzes erreicht. Diese Einheit aus kurzen Sätzen oder Satzfragmenten mit variablen Einschüben wirkt daher recht harmonisch. Doch der Satz kann auch über die Zeile hinausgezogen werden und wie ein Haken in die nächste Zeile ragen. Damit können Sie beim Gedichte schreiben das Tempo entweder beschleunigen oder verlangsamen.
Bilder im Kopf des Lesers entstehen lassen
Mit Vergleichen, Symbolen und Metaphern schaffen Sie durch kreatives Schreiben in Gedichten Bilder. Während sich ein Prosatext manchmal über eine oder gar mehrere Seiten zieht, um darin etwas auszudrücken, reicht es, bei Bildern die richtigen zu finden. Der Leser oder Zuhörer weiß ganz intuitiv, um was es eigentlich geht. Es werden weniger die rationalen Gedanken, stattdessen die Gefühle angesprochen. Dabei geht es vor allem um das Zusammenwirken einzelner Bilder, die wie zu einem Gesamtgemälde miteinander verknüpft werden. Damit die Bilder allerdings wirklich gelingen und auch eine entsprechende Resonanz beim Leser erfahren, ist eine genaue Beobachtung notwendig. Wie wäre es, wenn Sie versuchen, mehrere Sinne anzusprechen und aus diesen einzelnen Facetten ein ganzes Bild zu gestalten? Achten Sie jedoch darauf, Klischees oder allzu häufig benutzte Metaphern zu vermeiden, um nicht ins Kitschige abzudriften.
Das lyrische Ich spielt in den Gedichten
Weil in der Poesie die Sprache neu sortiert wird, allein schon, um neue Bilder und Metaphern zu erhalten, tritt das private, das persönliche Erleben dahinter zurück. Selbst wenn das dem Text zugrundeliegende Ereignis biografische Wurzeln hat: sobald es handschriftlich in Gedichtform gefasst wurde, ist dies nicht mehr wesentlich. Schließlich berühren auch solche Werke deren Verfasser längst nicht mehr unter den Lebenden weilt. Nutzen Sie daher eine Beobachtung oder ein Erlebnis als Grundlage, als Steinbruch der Kreativität. Bearbeiten Sie diesen so lange, bis ein Netzwerk an Worten entsteht und schreiben sie diese handschriftlich nieder. Die Leser oder Zuhörer können dann ihre eigenen Vorstellungen und Ideen damit verknüpfen.
Das lyrische Ich ist dabei eine Erfindung des Dichters selbst. Es ist wie ein Umhang, in den der Leser schlüpfen kann. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er genügend Raum dafür bietet. Das wird nicht einfach durch den Ausdruck von Gefühlen erreicht, sondern mit einer klug durchdachten und bewussten Nutzung von Sprache.
Praktisch selbst dichten
Wie Worte und Buchstaben wirken können, erfahren Sie unter anderem, wenn Sie anderen Menschen zuhören. Lauschen Sie, wenn diese ihren Gefühlen, ihren Gedanken, Sehnsüchten und Wünschen Ausdruck verleihen. Das gilt nicht nur für die tatsächlich verwendeten Worte, sondern auch für die Klangfarbe und die Tonhöhe. Lesen Sie Gedichte anderer Dichter, spüren Sie diesen nach, warum Sie von ihnen angesprochen werden und warum vielleicht auch nicht. Wenn Sie sich zunächst unsicher sind, wie Sie anfangen sollen, dann imitieren Sie doch einmal bekannte Dichter. Rezitieren Sie beispielsweise das Gedicht von Ernst Jandl „ottos mops“ und versuchen sich einfach an einem eigenen Text, in dem ebenfalls nur ein einziger Vokal verwendet wird. Oder halten Sie sich zunächst an die kleinen lyrischen Formen von Elfchen und Haiku, die in ihrer klar vorgegebenen Struktur erste Versuche leichter machen.
Reime, Rhythmus und Metrum
Zum Klang von Gedichten gehört neben der Sprache, dem Rhythmus und dem damit verbundenen Metrum auch der Reim. Dieser ist allerdings gerade in der deutschen Sprache sehr von oft strapazierten Klischees durchzogen, eines davon ist das sicherlich bekannte Duo Schmerz und Herz. Wenn Sie erste lyrische Schritte unternehmen und Gedichte schreiben wollen, versuchen Sie Bilder und Klänge einzufangen. Beides wird nicht vom rationalen Geist, sondern von der rechten Hälfte des Hirnes verarbeitet. Wird diese Hirnhälfte angesprochen, kann sich ein Raum für Gefühle öffnen.
Weil Menschen zwar ihre Augen schließen und damit das Sehen als Sinn aussperren können, nicht jedoch das Hören, wirkt ein Klang deutlich suggestiver und subtiler als Worte und damit geschaffene Bilder. Sie können diesen Zusammenhang einfach für Ihre Werke nutzen. Ein Beispiel dafür ist die Alliteration: Bei dieser dient die betonte Hauptsilbe als Verstärker. Hören Sie einfach auf die Werbung, die täglich an Ihnen vorbeirauscht. Oft nutzen Werbesprüche genau diese Form: „Milch macht müde Männer munter“. Diese Form der Klänge bleibt oft schnell im Gedächtnis haften. Wenn Sie die ersten eigenen Versuche, Gedichte schreiben zu lernen, können Alliterationen eine Möglichkeit sein, wie Sie sich der Dichtung spielerisch nähern. Mit diesen öffnen Sie einen Klangraum, dem sich kaum ein Leser entziehen kann.
Mut zum Beginn
Aller lyrischer Anfang ist schwer und das schwerste daran, ist wohl das Beginnen selbst. Der wichtigste Tipp, den man angehenden Poeten mit auf den Weg geben kann, sei „das sich trauen“ heißt es. Nehmen Sie sich also ein schönes Schreibgerät zur Hand und beginnen Sie in Ihrem Skizzenbuch mit ersten Versuchen.