« Warum Handgeschriebenes unvergleichlich persönlich bleibt »
Während sich die Handschrift aus dem Alltag langsam davonschleicht, mit ihr nur noch Einkaufszettel, Notizen, to-do-Listen und die Stichworte der Konferenz notiert werden, dominieren allerorten Tastatur und Display. Wer einmal gesehen hat, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit und traumwandlerischer Sicherheit junge Menschen Texte auf dem Smartphone-Display mit ihren beiden Daumen eingeben, wünscht sich, beim Schreiben mit der Hand genauso geschickt zu sein.
Die eigene Handschrift zeugt von Originalität
Gruß- und Glückwunschkarten sind eines der letzten Refugien von handschriftlich geschriebener Post. Ausgedruckt wären sie vielleicht ordentlicher, wirken jedoch einfach unpersönlich.
Laut Kommunikationsagentur Ogilvy & Mather werden Mails in Handschrift tatsächlich geöffnet, während gewöhnliche Marketing-Mails ungeöffnet in den digitalen Papierkorb verschoben werden. Daher gibt es längst mehr als nur ein Textverarbeitungsprogramm, das sich als digitales Schreibwerkzeug nutzen lässt.
Wird die eigene Schrift eingescannt, lässt sich mit ihr ein wie mit der Hand geschriebener Brief schreiben, tippen und ausdrucken.
Die eigene Handschrift als Font
Soll das Textverarbeitungsprogramm eine Schriftart entwickeln, die der eigenen Handschrift ähnelt, müssen Sie persönlich verfasste Sätze aufschreiben und einscannen. Anschließend analysiert das Programm Ihre Handschrift, identifiziert die Schreibweise jedes einzelnen Buchstabens, die persönlichen Eigenheiten, die Abstände der Buchstaben voneinander und den Gesamteindruck.
Damit eine per Textverarbeitungsprogramm erzeugte persönliche Schriftart wirklich funktioniert, kommt es besonders auf die individuellen Feinheiten an. Gerade die Abstände zwischen den Buchstaben und deren Verbindung ist essenziell für eine persönliche Schrift. Haben Sie schon einmal versucht, beispielsweise die Unterschrift von Vater und Mutter zu imitieren und damit die schlechte Note zu unterschrieben?
Auch hier war der Schreibfluss entscheidend: Je flüssiger Sie die Unterschrift imitieren konnten, desto eher ließ sich ein Lehrer täuschen. Damit die eigene Handschrift so echt wie möglich aussieht, muss das Programm die Zeiten per Zufall generieren, sie also in unterschiedlichen Variationen reproduzieren. Nur dann kann es der persönlichen Handschrift ähneln, schließlich werden hierbei auch die Buchstaben immer ein kleines bisschen unterschiedlich.
Trotz allem bleibt es eine Imitation
Wird die Handschrift als Schriftart des Textverarbeitungsprogramms entwickelt, ist sie der eigenen Schrift zwar ähnlich, hat aber mit wirklichem Schreiben kaum noch etwas gemeinsam: Hier tanzt der Füllhalter leichtfüßig über das Papier und hält Gedanken fest. Dieser Tanz besitzt eine eigene Choreografie, ist abhängig von Tag und Stimmung. Die Verbindung der einzelnen Buchstaben ist dabei das Persönliche, das, was sich kaum imitieren oder gar fälschen lässt. Die Buchstaben der Schreibschrift sind so variabel und folgen persönlichen Dynamiken. Sie können einzeln für sich stehen oder lassen sich fließend mit den anderen verbinden.
Sind Sie sicher in Ihrer Handschrift, können Sie nicht nur einzelne Worte und Notizen, sondern lange Texte flüssig und klar niederschreiben. Geschriebene Buchstaben sind schnell geschriebene Texte. Eine kanadische Studie wies sogar nach, dass es einen Zusammenhang zwischen der inhaltlichen Qualität handgeschriebener Texte und der Schreibfertigkeit gibt, sicheres Indiz, dass sich die persönliche Handschrift nicht nur auf das Denken selbst, sondern auf den eigentlichen Prozess der Erkenntnis auswirkt.
Von großartigen Schreibern lernen
Viele bekannte Autoren schreiben zunächst mit der Hand, sortieren dabei ihre Ideen und lassen die Gedanken fliegen. Zu diesen gehören beispielsweise die bekannte Autorin Cornelia Funke, aber auch Stephen King oder Haruki Murakami. Sprüht die Kreativität, ist es die schreibende Hand, die sie mit einem gut geeigneten Schreibwerkzeug rasant notiert.
Der Ursprung unserer Schreibschrift reicht bis ins Mittelalter zurück, in eine Zeit, in der nur wenige Menschen überhaupt schreiben lernten. Viele Denker und großen Geister haben mit Tinte und Feder handschriftlich ihre Gedanken verewigt, später dann mit Füllhalter, Bleistift oder anderem Schreibwerkzeug.
Denken Sie einfach daran und wählen Sie das nächste Mal die Handschrift, wenn Sie eine Karte oder einen Brief schreiben. Je mehr Liebe und Hingabe Sie in ein solches Schreiben investieren, desto mehr Freude bereiten Sie dem Empfänger. Gleichzeitig tauchen möglicherweise ein paar kluge Gedanken auf.
An der Handschrift ist der ganze Körper beteiligt
Soll ein Gedanke in Buchstaben gegossen werden, muss er formuliert und oft auch zugespitzt werden. An dieser schöpferischen Arbeit ist nicht nur der Kopf, sondern der ganze Körper eingebunden. So waren die ersten Zeichen, die von Menschen in Stein und Knochen geritzt oder gemalt wurden, zunächst spirituell, hatten etwas Magisches an sich.
Vielleicht notierte der Anführer, wo es jagdbare Beute gab, vielleicht ritzte der Schamane die Mondphasen in den Stein oder die Heilerin ihre Menstruationszyklen. Später entwickelten Händler ganze Zeichensysteme, sie erfanden Symbole für Kamel, Wolle oder Leder, ritzten sie in kleine Tontäfelchen und nutzten diese als archetypischen Lieferschein. Wurden die Waren geliefert, konnte der Empfänger prüfen, ob sie vollständig war.
Zeichen wurden zu Worten und mit der Zeit schrieben die Schreiber der Könige deren Taten auf die Wände der Paläste oder auf Stelen.
Ohne Schrift gibt es kein Denken
Der französische Philosoph Jacques Derrida formulierte vor über fünfzig Jahren die These, dass es Denken nur gäbe, weil es das Schreiben gibt. Weil Menschen ihre Gedanken aufzeichnen, festhalten, niederschreiben oder einmeißeln können, mit ihnen Papier, Ton, Wände, Stein und jetzt sogar virtuelle Bücher in der sogenannten Cloud beschreiben können, werden die Gedanken klar, zu Material und prägen die Welt und unsere Sicht auf diese. Während ein Bild Gefühle hervorruft, alles wie in einer Szene gleichzeitig passieren kann, verlangt die Schrift nach einer Reihenfolge, einer Linearität. Sie ordnet sich in Zeilen, bildet Buchstaben, aus diesen Worte und schließlich Sätze.
Schon immer wurde das Denken ebenso wie das Schreiben davon geprägt, welches Werkzeug gerade genutzt wurde. Als beispielsweise Friedrich Nietzsche zur Schreibmaschine wechseln musste, weil er erblindete, tippte er in Großbuchstaben. Das verwendete Schreibwerkzeug kann uns bremsen, aber auch beschleunigen. Die Anordnung der einzelnen Tasten bei der Schreibmaschine sollte beispielsweise verhindern, dass sich die Typenhebel miteinander verheddern.
Mit der Hand fordern Sie die Kreativität heraus
Werden Texte handschriftlich niedergeschrieben, entstehen komplexere Sätze und insgesamt kreativere Texte. Die Forscher sind sich noch nicht ganz einig darüber, woran das liegen könnte. Sie vermuten, dass die Bewegungen, welche die Hand bei der Niederschrift der Buchstaben macht, gleichzeitig die Bereiche im Hirn stimuliert, die für Denken und Sprechen zuständig sind.
Wenn Sie mit der Hand einen Brief schreiben, spielt Ihre Motorik dabei eine Rolle, aber auch die Sensorik, die Berührung von Stift und Papier. Sprache und Kreativität werden gefordert. Geben Sie die Gedanken via Tastatur in den Computer, berühren Ihre Finger lediglich die Oberfläche von Tastatur oder Bildschirm. Die Berührung ruft dann ein Zeichen auf dem Screen hervor, für den Körper jedoch fühlt sich alles gleich an.
Wird die Handschrift als Schriftart von einem Textverarbeitungsprogramm künstlich geschaffen, geht diese ganze Vielfalt verloren. Es ist eine Imitation, eine Nachahmung Ihrer Schrift, allerdings ohne die ganzen Verknüpfungen, die durch handschriftlich verfasste Notizen im Gehirn passieren. Probieren Sie es einfach aus. Die Handschrift lässt sich wie ein Muskel trainieren.